Draußen regnet es und es herrscht eine typisch graue November-Stimmung. Trist? Ja, das ist das richtige Wort. Deshalb entführe ich Euch mit diesem Post in den Süden. Im Mai dieses Jahres wurde in Manosque, das ist ein kleiner Ort in der Nähe von Avignon, ein neuer Duft von Hermès vorgestellt. Cuir d’Ange (zu dt.: Engelsleder) ist Teil der edlen Hermessence-Linie, einer sehr persönlichen Duftlinie des Haus-Parfümeurs Jean-Claude Ellena. Es ist das zwölfte Parfüm dieser Reihe, bei der ich schon einmal an einer Präsentation teilnehmen durfte. Die Lancierung von Hermessence Düften werden immer besonders poetisch und zauberhaft inszeniert. So auch diesmal.
Wir wurden zu einem Gartentor gefahren und tauchten ein in einem Tunnel aus Jasmin:
Als wir wieder auftauchten, lasen uns im Park schöne junge Menschen schöne Prosa vor:
Die Textpassagen stammten aus “Jean le Bleu”, einem autobiographisch inspirierten Roman (erschienen 1932) von Jean Giono, in dessen wundersamen Garten wir uns befanden. Jean le Bleu, so erfuhren wir, ist das Lieblingsbuch des Parfümeurs Jean-Claude Ellena, der plötzlich mitten im Garten saß und erzählte…
Er erzählte von den Lederkellern von Hermès und seine Liebe zur Literatur von Jean Giono und dass dieses Buch ihn zum Parfum Cuir d’Ange inspiriert hat. Alle hörten gespannt zu, sogar der oberste Hermès-Chef Pierre-Alexis Dumas:
Doch um wirklich das neue Parfüm zu verstehen, sollten wir erst noch das Haus von Jean Giono (1895 – 1970) besichtigen, meinte Ellena. So entdeckten wir ein Haus, in dem die Zeit stehen geblieben war. Als ob Jean Gionio gerade mal kurz raus in seinen blumenreichen Garten gegangen wäre, so lagen fast überall auf den Möbeln seine Arbeitswerkzeuge, die Schreibmaschine, die Feder, angefangene Textmanuskripte etc. rum. Einfach zauberhaft.
Das Buch, das bei uns auf Deutsch “Jean, der Träumer” heißt, handelt von der Jugend Gionos im Süden Frankreichs. Er war der Sohn eines Schusters und so schließt sich der Kreis zum Leder, zu Hermès und seinem neuen Duft.
Ich wollte mehr über diese Verbindung von Giono, Leder und den Engeln erfahren und habe Jean-Claude Ellena interviewt:
Jean-Claude Ellena, woher kommt der Name Cuir d’Ange?
Als ich vor zehn Jahren zu Hermès kam, wollte ich die Keller mit den Lederhäuten sehen. Man führte mich sozusagen ins Fort Knox von Hermès. Alle Häute sind in dieser Schatzkiste ordentlichst aufgeräumt und sortiert nach Leder und Farben. Mein Guide empfahl mir nicht zu riechen, sondern zu fühlen. Er redete und beschrieb die Leder, er fühlte, er strich über die Häute und ich roch. Ich verbrachte dort einen Tag damit, die Leder zu riechen und mir Notizen zu machen. Dabei bemerkte ich, dass Lederhäute, die nach Blumen benannt wurden, nicht nur die edelsten und seltensten Leder sind, sondern auch wirklich nach Bumen riechen.
Zum Beispiel: Krokodil riecht nach Iris?
Ich kann nun kein klares Beispiel nennen, denn oft ist es die Verarbeitung des Leders, das den Geruch ausmacht. Wenn das Leder natürlich gegerbt wurde, riecht es nach Blumen, wurde es mit synthetischen Mitteln behandelt, dann nicht. Dann riecht es nach Ammoniak. Eine natürliche Gerbung holt aus dem Leder die Blumenstoffe hervor. Das war für mich eine echte Entdeckung. Natürlich macht die natürliche Gerbung eines teuren Leders das Leder noch teurer. Wissen Sie, aus was synthetisches Leder hergestellt wird?
Nein
Aus Fischöl.
Womit wir noch immer nicht wissen, was Engelsleder ist.
Cuir d’Ange ist für mich ein wunderbarer Ausdruck, denn es vereint auf der einen Seite etwas sehr Konkretes, nämlich das Leder, und auf der anderen Seite etwas, was …
Ja genau, wie riechen Engel?
Tja, dazu kann man sich nun vorstellen, was man will. Das voller Imagination. Und die überlasse ich Ihnen. Kreation ist kein Prozess des Vorgegebenen und auch nicht der Vernunft. Wenn ich etwas kreiere, weiß ich, was zu tun ist, aber ich weiß nicht, was ich machen werde. Allerdings weiß ich ganz genau, was ich nicht will. Das ist bereits in meinem Kopf. Ich gehe nach dem Prinzip des Aussschlusses vor: Nein, das ist es nicht, und nein, das auch nicht. Nein, nein, nein. Die Kreation besteht darin, einen Weg zu beschreiten, etwas zu erschaffen, erfinden, verstehen. Das Wichtigste dabei ist, dass dieser Weg schön ist.
Bei Cuir d’Ange hat dieser Weg zehn Jahre gedauert.
Stimmt, das ist lang. Manche Sachen gehen schnell, manche langsam.
Vielleicht liegt es an den Engeln, die leben in der Ewigkeit. Da spielt Zeit keine Rolle. Glauben Sie denn an Engel?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin Atheist, ein schrecklicher Atheist. Aber die Idee des Cuir d’Ange gefällt mir trotzdem außerordentlich gut. Da ist es nicht notwendig, an Engel zu glauben. Vielleicht hat es solange gedauert, weil ich nicht den üblichen Weg gehen wollte, den man in der Parfümerie sonst bei Leder einschlägt. Da kam meine rebellische Seite zum Vorschein. Oft beginne ich mit Etwas, was mir nicht gefällt, um es anders zu machen. Mit den Etappen konkretisierten und präzisieren sich die Dinge. Ich arbeite an manchen Tagen an einer Note, dann lege ich zur Seite und dann bearbeite ich sie wieder und so weiter und so weiter. Man muss sich immer wieder von der eigenen Kreation entfernen. Deshalb arbeite ich immer an vier oder fünf Parfums gleichzeitig. Wenn ich bei einem Duft den Mut verliere, so gewinne ich mein Vertrauen bei einem anderen Duft zurück. Auf dem langen Weg kommen immer neue Ideen. Aber die meiste Zeit habe ich gar keine Ideen.
Ach ja.
Man braucht nicht glauben, dass ein Kreateur ständig neue Ideen hat. Das ist mir nur einmal passiert. Beim Duft “Un Jardin en Mediterranée”. Das hat genau drei Tage gedauert, dann war es fertig. Ich habe noch so viele Sachen auf dem Schreibtisch, an denen ich seit mehr als zehn Jahren bastele.
Wie könnte man den neuen Duft beschreiben?
Dazu möchte ich etwas ausholen: Eines Tages gab man mir bei Hermès ein altes Paar Lederhandschuhe. Ich war verzaubert. Die waren unglaublich leicht. Wie eine Feder. Und dabei so dünn wie ein Blatt Papier. Dabei hatten sie eine Souplesse wie Chiffon. Ich fand in diesem Handschuh genau das, was ich bei Cuir d’Ange verwirklichen wollte. Es sollte ein weiches Leder sein, das einem das Gefühl einer Haut vermittelt und angenehm zu fühlen ist. Aber ich wollte auch ein Stück natürliches Leder hineinbringen. Es entstand eine Idee in meinem Kopf von Finesse, Weichheit, Anschmiegsamkeit mit einem Hauch von Puder, die ich in Duftnoten umwandelte.
Welcher Rolle spielt Jean Giono in dieser neuen Duftkreation?
Ich lese sehr viel, aber Giono ist mein Lieblingsautor. Er ist wie ein geistiger Vater für mich. Sein Werk “Jean le Bleu” liegt immer auf meinem Nachttisch. Ich schätze diesen Autor sehr, weil er jenseits der Romane, die er geschrieben hat, eine Philosophie des Lebens hat, in der die Suche nach dem Glück eine wesentliche Rolle spielt. Ich kann mich damit sehr identifizieren. Außerdem habe vom ihm etwas sehr Wichtiges gelernt: Dass man erfinden muss, um etwas zu verstehen. Wenn ich seine Bücher lese, kann ich die beschriebenen Gerüche förmlich riechen. Deshalb wollte ich, dass Sie hier her kommen und das Haus sehen. Dass Sie, wenn Sie die Textpasssagen über Düfte hören, fühlen, dass man Worte riechen kann.
Fotos: Barbara Markert / modepilot, PR (2)