Der Trend bei der Berliner Modewoche ging in den vergangenen drei Tagen klar hin zur Präsentation. Bis zum gestrigen Abend war ich der Meinung, dass es unheimlich gut zu unserer Stadt passt. Unaufgeregt, auf die Details konzentriert, mit genug Zeit, um Stoffe, Schuhe und Accessoires zu entdecken. Das ist praktisch. Und doch furchtbar unemotional – weiß ich nun, denn William Fan hat mit seiner intimen Show im chinesischen Restaurant Ngon neue Maßstäbe gesetzt – und das auf so vielen verschiedenen Ebenen.
Nehmen wir direkt mal seine Location-Wahl; hier handelt es sich um ein klassisches Restaurant, das bislang auf keinem Hipster-Radar war (keiner der anwesenden Gäste hatte überhaupt schon mal von dem architektonischen kleinen Meisterwerk in der Rathausstraße nahe des Alexanderplatzes gehört) und in dem kleine Häppchen, Bier und Cola gereicht wurden. Man saß also ganz gemütlich an seinem Tisch und konnte den Models während des Dippens in der Erdnusssoße zusehen, wie sie wunderbar gemächlich zu einer ulkig gelungenen Mischung aus chinesischer Traditionsmusik und Dr.Dre durch das Restaurant liefen.
Mit den „Es bedient Sie“-Namensschildern gab der Meisterschüler der Kunsthochschule Berlin-Weißensee schon im Modesalon einen Ausblick auf das, was da kommen würde. „Es wird eine ganz kleine, exklusive Runde“, verriet uns William da und ich scherzte, dass wir froh sein könnten, überhaupt eingeladen zu werden (William hat eine klare Meinung zum Influencer-Tum). Auch fühlte ich mich sogleich zurück versetzt zu unserem Treffen auf der Premium vor bald drei Jahren, als er seine allererste Kollektion präsentierte und ich auf Journelles von einem neuen Designtalent am Berliner Modehimmel sprach.
Schon ganz zu Beginn hatte er nicht nur ein sehr gesundes Selbstbewusstsein, sondern vor allem eine kristallklare Vision. Prozente für die Presse? Geschenkte Samples? Nicht so mit William. Entweder, man kauft seine Designs, weil sie gefallen. Oder eben nicht. Finanziert sich schliesslich nicht von allein, so ein Label. Und das unterscheidet ihn sogleich von so vielen Newcomern, denn William hat von Beginn an einen Blick auf die Kosten.
Dass Modenschauen Emotionen transportieren müssen und intensiver wahrgenommen werden, wenn ein riesiges Happening daraus gemacht wird, versteht William jedenfalls wie kein Zweiter. Nach Chinatown und dem Trip in seine 90er-Jahre-Jugend ist es nun die „FAN DYNASTY“ – ein China Restaurant so yummy your inner dragon will cry tears of joy. Die Geschichte ist so perfekt und einzigartig – und vor allem nicht mal inszeniert, denn seine Eltern sind in Hannover Besitzer eines chinesischen Restaurants, in dem William seine Kindheit verbracht hat – und dort nicht nur regelmäßig seine Hausaufgaben erledigte, sondern auch die zum Essen eintreffenden Gäste beobachtete.
Die unterschiedlichen Charaktere inspirieren ihn schliesslich zu seiner Herbst/Winterkollektion 2018/19, weshalb nicht nur klassische Models über den gestrigen Laufsteg flanieren, sondern auch elegante, wunderschöne ältere Frauen oder Herren mit Schnäuzer. Die viel diskutierte und notwendige Diversity auf dem Runway? Kein Thema für Fan. Und mit der Fan Dynasty handelt es sich im selben Atemzug um eine Hommage an seine Eltern, die aus Hongkong nach Deutschland kamen und in erster Generation das China-Restaurant eröffnete.
Was soll ich sagen? In meiner Ruhrgebietsheimat war der sonntägliche Besuch des einzigen Chinesen, „Kam to Sing“, Pflichtpogramm! Mein Papa fieberte regelrecht darauf hin, es war der einzige Restaurantbesuch in der Woche. Daher kann ich mich auch so gut daran erinnern, wie einzigartig und spannend diese Sonntage waren – immerhin war es nicht mal ansatzweise so selbstverständlich, so häufig wie heute im Restaurant zu essen, von der kulinarischen Abwechslung mal ganz abgesehen!
Als wäre Williams Geschichte also nicht schon rund genug – selbst ich schwelge bereits in meinen jugendlichen Erinnerungen – hat er vor allem eins bei all dem Tamtam nicht vergessen: die Mode.
Und die trägt stilvolle Referenzen an das China-Restaurant: Aus den typischen Glückskeksen wird die „Fortune Bag“ in selbiger Form. Aus den kitschigen Goldfischen im Glas humorvolle Gummilatschen. Aus der Schürze der Kellner ein verschiedenartig drapierbarer Latz. Vor allem aber blitzt jetzt schon ein so starker, typischer Tayloring-Look von William durch, dass man vertraut ist mit dem Glencheck-Karo, den Streifen, gebundenen Elementen an Ärmeln und Hosenbeinen sowie dem Material-Clash aus krass funkelnden Pailletten, Brokatmustern, schweren Teddy-Stoffen oder Lurex.
Berlin wird nun seit Jahren eine verwelkende Modeszene nachgesagt; eine, die es nicht wert ist, international Anerkennung zu erlangen. Mit William Fan, der diese neu strukturierte und fokussierte Modewoche gestern Abend glorreich beendete, werden ganz klar neue Maßstäbe gesetzt. Noch. Denn mich würde es ehrlicherweise nicht wundern, wenn die internationalen Modekammern ihn nicht mit Kusshand auf ihre Schedules setzen würden.
Ich denke hier nur an Jacquemus; ich kenne Simon Porte Jacquemus noch, als er Guerilla-Modenschauen in den Tuileries veranstaltete, damit Streetstyle-Fotografen auf ihn aufmerksam werden. Mit spannenden Locations (siehe: ein Schwimmbad), großer Eigenüberzeugung dank seines Ausnahmetalents und dem unermüdlichen Anklopfen an Türen der wichtigsten Pariser Boutiquen hat er es schon in jungen Jahren auf die offizielle Schedule der Fédération de la Haute Couture et de la Mode geschafft und gehört nun zu den besten Pariser Aushängeschildern.
Nicht weniger erwarte ich von William Fan – seine Kleider hängen bereits im KaDeWe und gehen weg wie Krupuk-Chips. Mein bescheidener Wunsch wäre eigentlich nur, dass er uns noch weiter in Berlin erhalten bleibt. Gutes spricht sich ja auch schnell über die Landesgrenzen weiter.
FOTOS: Julia Novy für Journelles
Der Beitrag Besser als ein Kilo Krabbenchips: William Fans FAN DYNASTY ist das Highlight der Berliner Modewoche erschien zuerst auf Journelles.
Danke: journelles